Biografie — Teil 3
1944 — 1955
In der Nacht vom 8. auf den 9. August 1946 eröffnete Theo Prosel am Platzl den “Neuen Simpl”. Erst später fiel ihm auf, dass der 9. August Kathi Kobus’ Bestattungstag war. Er wertete dies als gutes Zeichen. Auch Prosels neues Refugium bestand aus zwei Räumen, die durch einen Gang miteinander verbunden waren. Die Einrichtung war ebenfalls dem alten “Simpl” nachempfunden. Die bedeutendste Neuerung war wohl die größere Bühne mit Vorhang.
Die Verlegung des Simpl von Schwabing in die Münchner Innenstadt wurde freilich kritisch gesehen, doch kannte man Theo gut genug um zu wissen, dass der Simpl und seine guten Geister diesen Umzug gut überstehen würden.
“Neuer Simpl” am Platzl
Auf einen kritischen Beitrag in der Süddeutschen Zeitung Nr. 65 vom 13. August 1946 antwortete Theo Prosel 1947 in einem Programmzettel: “Es gibt wohl keine Gaststätte, keine Künstlerkneipe, kein Brettl und kein Kabarett, über das man so viel in aller Welt (im Ausland mehr als im Inland) geschrieben hätte, als über den Simpl. Er ist heute, man möchte fast sagen, märchenumwoben. Denn das, was man über den Simpl heute zu lesen bekommt, ist gewöhnlich durch die Brille der Sehnsucht nach längst Vergangenem und Verklungenem gesehen. Und da die jungen Autoren die ehemaligen Glanzzeiten des Simpl eben auch erst vom Hörensagen kennengelernt haben, so glaubt ein jeder, dass es irgendwann einen Ideal-Simpl gegeben hat, der sich von dem jetzigen grundlegend unterscheidet… Vielleicht wird eine Zeit kommen, wo die heutigen Jungen als betagte Frauen und Männer in den jetzigen Simpl kommen, so nach 20 Jahren, und dann werden sie sagen: “Vor 20 Jahren, damals, als noch der Prosel lebte, damals war der Simpl noch etwas…”.
Das Simpl-Ensemble: v.l. Carl Huemer, Dorit Schenk, Walther Diehl, Erika Blumberger, Theo Prosel, Hannelore Schroeter, Mano Fred, Inge Metzger
Im Neuen Simpl trat die alte Simpl-Garde auf: Lia Dahms (seit 1937 im Simpl), Elenor Falk (1939), Dorit Schenk (1940), Erika Blumberger (1940), Walter Hillbring (1919), Joachim “Baby” Faber (1932), Heinz Reitter (1937).
Dazu gesellten sich nach und nach Günther Jerschke und Helmuth Schattl, Margarete Bräuer sowie Walter Neumann, Ludwig “Wiggerl” Walberg und Carl Huemer. Ferner traten auf: Jo Berum, Lieselotte Hösl, Wend von Jagow, Rudolf Kieslich, Inge Metzger, gelegentlich die Prosel-Töchter Dorli und Resi, sowie Prosels Schwiegersohn Walther Diehl.
Im März 1948 erlebte das Simpl-Publikum ein Gastspiel von Gert Fröbe, der erstmalig in München seine großartige Interpretation von Morgenstern-Gedichten, wie “Die Schildkröte” und “Fisches Nachtgesang”, zum Besten gab. Durch dieses Gastspiel bekam Fröbe seine erste große Filmrolle, den “Otto Normalverbraucher” im Film “Berliner Ballade”.
Im Januar 1948 hatte Karl Valentin im Neuen Simpl seine letzten Auftritte vor seinem Tod.
1949 feierte Walter Hillbring im Neuen Simpl sein 30-jähriges Bühnenjubiläum. Im Mittelpunkt stand Liesl Karlstadt, die ein längeres Gastspiel gab und Prosels Einakter “Frau Minister” meisterhaft interpretierte. Für die Simpl-Gäste, darunter viele Prominente, wie Loni Heuser, Hellmuth M. Backhaus, Fred Rauch, Fred Spohrer, Axel von Ambesser, Adolf Gondrell, Fee von Reichlin, Cläre Waldorff, Ralph Maria Siegel, Pamela Wedekind und Erich Kästner, die zum Teil auch selbst auftraten, blieb dieser Abend, dessen Reinerlös der Berlin-Hilfe zugute kam, unvergesslich.
Nicht weniger Prominenz war bei den beiden Feiern zum 60. Geburtstag Prosels im Neuen Simpl anwesend. Um das Geschäft zu beleben, feierte Theo 1949 und 1950 und hatte damit Erfolg.
Einen Tag nach der Währungsreform war das Lokal leer. Das wurde auch nicht mehr wesentlich anders. Im Zuschauerraum, wo bisher Gedränge war, saßen zwei oder drei Gäste, manchmal kam gar keiner.
Neben schlechtem Geschäftsgang war auch Prosels Sorglosigkeit in Geldangelegenheiten schuld am Zusammenbruch des Neuen Simpl. Jeden, den er gern mochte, hielt er frei. Machte man ihn auf Unregelmäßigkeiten im Betrieb aufmerksam, konnte er sogar böse werden, oder aber er winkte gelassen ab und sagte: “I halt’s wia mein Großvater. Der hat g’sagt: ‘Die Hauptsach’ is, dass mir aa no was lassn.’ ”
Anfang Juni 1950, fast vier Jahre nach der Eröffnung, musste der Neue Simpl schließen. Seine Schulden bezahlte Prosel, so absurd es klingen mag, erst nach seinem Tod. Die GEMA-Tantiemen für “I hab die schönen Maderln net erfunden”, deckten in wenigen Jahren alle Forderungen ab.
Nach dem Konkurs drückte Prosel die künstlerische Heimatlosigkeit schwer. Im “Wintergarten” im Regina Palast Hotel versuchte Theo wieder Kabarett zu machen. Als auch in den “Wintergarten” fast keine Besucher kamen, zog Prosel mit seinem Kabarett in die wesentlich kleineren “Thermen” des gleichen Hauses um. Er hoffte vergeblich, dass dieser Raum täglich voll besetzt sein würde. Die “Proselei”, wie er sein Kabarett nannte, musste aufgegeben werden. Auch ein erneuter Versuch im “Mutti-Bräu” scheiterte. Prosel resignierte: “Die Leut’, die heut’ a Geld ham, versteh’n mi nimmer”. Den meisten Wohlhabenden der Zeit kurz nach der Währungsreform fehlte die humanistische Bildung, ohne die Prosels Programme nur schwer zu verstehen waren. Außerdem war politisches Kabarett gefragt, das Theo nicht lag. Drückten ihn die finanziellen Sorgen gar zu arg, meinte er: “Mei’ Liaber! Koa Geld ham und gar koa Geld ham, des is a Riesenunterschied!”
1954 spielte er in dem DEFA-Film “Der Ochse von Kulm” die Rolle des Meierhofbauern.
Kurz vor seinem Tod wohnte Theo Prosel ein paar Wochen bei seiner verheirateten Tochter Dorli in München-Laim. Er war damals schon vom Tod gezeichnet, trotzdem brach sein unverwüstlicher Humor immer wieder durch, wenn ihn der quälende Husten etwas zur Ruhe kommen ließ: “Wenn I g’storb’n bin, werden’s schon einmal einen Weg zu einem Scheißhäusl nach mir benennen…”.
Theo Prosel starb am 13. Januar 1955, auf den Tag genau ein Jahr nach seinem Freund Adolf Gondrell, nach einem Blutsturz in den Armen des damaligen Narhalla-Faschingsprinzen Fritz I. (mit Familiennamen Gleich), für den er noch Reden geschrieben hatte.
Seit 1962 gibt es in Schwabing einen Theo-Prosel-Weg. Er führt nicht zu einem gewissen Örtchen, sondern verbindet die Elisabethstraße mit der Kathi-Kobus-Straße.
Die Stadt München ehrte damit einen großen Kabarettisten, der sein Publikum gescheit und mit viel Herz unterhielt.