Dichtender Simplwirt, Münchner Kabarettlegende

4. Mai 1889 - 13. Januar 1955

Biografie — Teil 2

1935 — 1944

Simpl, Türkenstraße 57

Simpl Türken­straße, Eingang

Am 1. August 1935 wurde Theo Prosel Simpl­wirt. Hier war er in seinem Element und konnte seiner Liebe zur Gesel­lig­keit freien Lauf lassen. Das Publikum, das sich seit Kathi Kobus’ Tod im Simpl einge­nistet hatte, war nicht nach Prosels Geschmack. Doch er wusste sich zu helfen und sagte: “Wir legen Tisch­tü­cher auf und stellen Blumen drauf. Da fühlen sich gewisse Leute nicht wohl. Ich brauch’s nicht rausschmeissen, die bleiben dann von alleine weg.” Und so war es auch: Es dauerte nicht lange und Prosel hatte ein auser­le­senes Stamm­pu­blikum im Simpl.

Die Familie Prosel bezog die Wohnung direkt über dem Simpl, denn niemand wollte über einem Nacht­lokal wohnen.

Zunächst schrieb Fred Endrikat die Programme, doch steuerte Prosel immer etwas eigenes bei. Später stammten dann sämtliche Programme aus Prosels Feder.

Der Simpl besteht seit jeher aus zwei Räumen, die durch einen langen Durch­gang, den sogenannten “D‑Zug” mitein­ander verbunden sind. Im hinteren Raum befand sich damals die nur 3 qm große Bühne, auf der noch ein Klavier stand. Auf der Speise­karte fand man Würstl mit Saft, Gulasch, Leber­knö­del­suppe, Hühner­suppe und natür­lich das Prosel’sche Famili­en­ge­richt: Wiener Schnitzel.

Theos Rolle als Simpl­wirt beschreibt Adolf Gondrell wie folgt: “Da sage mir einer, unser Prosel sei kein Wirt? Er kann ruhig drauf verzichten, wie ein Rennstall­be­sitzer auszu­sehen. Und er tut es: Denn, wenn er die Bühne betritt, legt er Wert darauf, nicht so auszu­sehen. Kurz vor Betreten des Podiums noch einen raschen Blick in den Spiegel, ob auch alles schön in Unord­nung ist, schnell noch ein wenig Zigaret­ten­asche ans Revers, und also geschmückt betritt er als Dichter die Bretter, die ihm heute seine Welt bedeuten, und schüt­telt die Bonmots aus dem Ärmel, die Endrikat einmal die Prosel­samen nannte, die unter die Tische fallen oder darauf liegen bleiben, je nach Qualität der Hörer. Und wenn dann der Simpl­goethe an seinem Witz die Gäste, besser die Mitglieder der großen Simplge­meinde entzündet hat, dann reckt er sich noch einmal auf und schmet­tert einen Zweizeiler hinein in die Menge: ‘Schnitzel essen, nicht vergessen’, schüt­telt die Asche vom Anzug, geht schlicht ab und wird für diesen Abend wieder Wirt.”

Simpl innen, vorne

Simpl innen, vorne

Simpel innen, hinten

Simpl innen, hinten

Simpl-Brief

Simpl-Brief

Ab März 1936 gab Prosel allmo­nat­lich die “Simpl-Briefe” heraus, ein Heft im DIN A5-Format, das neben dem Monats­pro­gramm auch Beiträge der auftre­tenden Künstler aber auch Plaude­reien und Gedichte von Prosel selbst enthielt.

Zusammen mit Adolf Gondrell gründete Prosel 1938 “Gondrells Bonbon­niere”, tauschte aber 1941 seinen Geschäfts­an­teil gegen das Eigen­tums­recht am Simpl ein. Für den Simpl und für die Bonbon­niere schrieb Prosel über 100 Programme, Einakter, Sketche, Black­outs, Chansons, Opern- und Operettenparodien.

Theo Prosel war Humanist aus Erzie­hung und aus Überzeu­gung. Er verab­scheute das politi­sche Kabarett, wie es manche recht bekannt gewor­dene Autoren und Künstler auch noch in der Nazizeit glaubten machen zu können. Sie büßten es fast alle. Doch Prosel hatte zur Politik überhaupt keine Bezie­hung. Er nahm seine Stoffe aus der Geschichte und aus den Sagen des klassi­schen Alter­tums, um mensch­liche Unvoll­kom­men­heiten und Schwä­chen vor Augen zu führen.

Neben vielen großar­tigen Künst­lern, wie etwa dem Hauskom­po­nisten Mario Dietmar, dem Hausdichter Egon Lothar Stolzen­burg, Hans von Bachmayr, dem balti­schen Chanson­nier Walter Hillbring, Lia Dahms, Erika Blumberger und vielen anderen, die regel­mäßig im Simpl auftraten, machte in den Jahren 1936 bis 1938 auch die damals noch unter dem Namen Lale Wilke bekannte Lale Andersen mehrfach im Simpl Station. Hier sang sie auch zum ersten Mal das Lied, das sie unver­gess­lich gemacht hat: “Lili Marleen”, aller­dings noch mit der Melodie von Rudi Zink. Mit der Musik von Norbert Schulze wurde es dann ein Welterfolg.

1938 trennten sich Julia und Theo Prosel. Sie ging zurück nach Wien, er blieb in seiner Wahlheimat München.

Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde es schwer, den Simpl weiter­zu­führen. Wein gab es fast keinen mehr, Schnaps schon gar nicht, und Speisen durften nur gegen Lebens­mit­tel­marken ausge­geben werden. So mussten sich die Gäste meist mit einem alkohol­freien Cocktail zufrieden geben. Hinzu kamen die Flieger­alarme, die das Programm oft jäh unter­bra­chen. Prosel aber hatte einen “heißen Draht” zu der Stelle, die den Flieger­alarm auslöste. So erfuhr er früher als andere, dass Luftalarm bestand und konnte seine Kellne­rinnen noch abkas­sieren lassen, bevor die Sirenen heulten.

Lale Andersen

Lale Andersen

Über das Ende des Simpl in der Türken­straße schrieb Theo Prosel in seinem Buch “Freistaat Schwa­bing”: “Mit Fortdauer des Krieges und mit den wider­li­chen Umständen, die sich als seine Folge geltend machten, wurde es immer schwie­riger, insbe­son­dere männliche Kunst­kräfte zu gewinnen. Denn nach und nach zog man einen jeden, der nur zwei Arme und Beine hatte zu irgend etwas ein und sei es nur zu einer Musik­ka­pelle, die dann auszu­rü­cken hatte, wenn man einen begrub. Im Juni 1944, als der Krieg schon in ein Stadium getreten war, wo auch der Blindeste seinen Ausgang unschwer voraus­sehen konnte, kam ich plötz­lich auf die Idee, Betriebs­fe­rien zu machen. Diese Einrich­tung des ‘Tausend­jäh­rigen Reichs’ passte so gar nicht für den ‘Simpl’, aber irgend­eine Vorah­nung hatte mich gepackt und ließ mich nicht mehr los.

Das letzte Programm, das ich im alten ‘Simpl’ startete, hatte den Titel ‘Einmal geht’s noch’, und tatsäch­lich ist es nur einmal mehr gegangen. Als am 30. Juni die Vorstel­lung vorbei war und ich auch schon Polizei­stunde geboten hatte, setzte ich mich mit meinen nächsten Simpl-Angehö­rigen zusammen und opferte aus meinen kargen Beständen einige Flaschen Sekt. Wir plauderten noch einige Zeit, dann verab­schie­deten wir uns. Ich übernahm die Schlüssel und musste daher das Lokal selbst absperren. Dann gaben wir uns die Hand zum Abschied, und da sagte ich die Worte, die jeder­zeit durch Zeugen­schaft bestä­tigt werden können: ‘Kinder, schaut euch jetzt noch einmal den Simpl genau an. Ihr werdet ihn nie mehr wieder sehen, denn im Juli kommen die Bomben.’ ”

Am 13. Juli 1944 fiel eine Spreng­bombe in den Bühnen­raum und begrub, was einmal Simpl geheißen hatte.