Biografie — Teil 2
1935 — 1944
Simpl Türkenstraße, Eingang
Am 1. August 1935 wurde Theo Prosel Simplwirt. Hier war er in seinem Element und konnte seiner Liebe zur Geselligkeit freien Lauf lassen. Das Publikum, das sich seit Kathi Kobus’ Tod im Simpl eingenistet hatte, war nicht nach Prosels Geschmack. Doch er wusste sich zu helfen und sagte: “Wir legen Tischtücher auf und stellen Blumen drauf. Da fühlen sich gewisse Leute nicht wohl. Ich brauch’s nicht rausschmeissen, die bleiben dann von alleine weg.” Und so war es auch: Es dauerte nicht lange und Prosel hatte ein auserlesenes Stammpublikum im Simpl.
Die Familie Prosel bezog die Wohnung direkt über dem Simpl, denn niemand wollte über einem Nachtlokal wohnen.
Zunächst schrieb Fred Endrikat die Programme, doch steuerte Prosel immer etwas eigenes bei. Später stammten dann sämtliche Programme aus Prosels Feder.
Der Simpl besteht seit jeher aus zwei Räumen, die durch einen langen Durchgang, den sogenannten “D‑Zug” miteinander verbunden sind. Im hinteren Raum befand sich damals die nur 3 qm große Bühne, auf der noch ein Klavier stand. Auf der Speisekarte fand man Würstl mit Saft, Gulasch, Leberknödelsuppe, Hühnersuppe und natürlich das Prosel’sche Familiengericht: Wiener Schnitzel.
Theos Rolle als Simplwirt beschreibt Adolf Gondrell wie folgt: “Da sage mir einer, unser Prosel sei kein Wirt? Er kann ruhig drauf verzichten, wie ein Rennstallbesitzer auszusehen. Und er tut es: Denn, wenn er die Bühne betritt, legt er Wert darauf, nicht so auszusehen. Kurz vor Betreten des Podiums noch einen raschen Blick in den Spiegel, ob auch alles schön in Unordnung ist, schnell noch ein wenig Zigarettenasche ans Revers, und also geschmückt betritt er als Dichter die Bretter, die ihm heute seine Welt bedeuten, und schüttelt die Bonmots aus dem Ärmel, die Endrikat einmal die Proselsamen nannte, die unter die Tische fallen oder darauf liegen bleiben, je nach Qualität der Hörer. Und wenn dann der Simplgoethe an seinem Witz die Gäste, besser die Mitglieder der großen Simplgemeinde entzündet hat, dann reckt er sich noch einmal auf und schmettert einen Zweizeiler hinein in die Menge: ‘Schnitzel essen, nicht vergessen’, schüttelt die Asche vom Anzug, geht schlicht ab und wird für diesen Abend wieder Wirt.”
Simpl innen, vorne
Simpl innen, hinten
Simpl-Brief
Ab März 1936 gab Prosel allmonatlich die “Simpl-Briefe” heraus, ein Heft im DIN A5-Format, das neben dem Monatsprogramm auch Beiträge der auftretenden Künstler aber auch Plaudereien und Gedichte von Prosel selbst enthielt.
Zusammen mit Adolf Gondrell gründete Prosel 1938 “Gondrells Bonbonniere”, tauschte aber 1941 seinen Geschäftsanteil gegen das Eigentumsrecht am Simpl ein. Für den Simpl und für die Bonbonniere schrieb Prosel über 100 Programme, Einakter, Sketche, Blackouts, Chansons, Opern- und Operettenparodien.
Theo Prosel war Humanist aus Erziehung und aus Überzeugung. Er verabscheute das politische Kabarett, wie es manche recht bekannt gewordene Autoren und Künstler auch noch in der Nazizeit glaubten machen zu können. Sie büßten es fast alle. Doch Prosel hatte zur Politik überhaupt keine Beziehung. Er nahm seine Stoffe aus der Geschichte und aus den Sagen des klassischen Altertums, um menschliche Unvollkommenheiten und Schwächen vor Augen zu führen.
Neben vielen großartigen Künstlern, wie etwa dem Hauskomponisten Mario Dietmar, dem Hausdichter Egon Lothar Stolzenburg, Hans von Bachmayr, dem baltischen Chansonnier Walter Hillbring, Lia Dahms, Erika Blumberger und vielen anderen, die regelmäßig im Simpl auftraten, machte in den Jahren 1936 bis 1938 auch die damals noch unter dem Namen Lale Wilke bekannte Lale Andersen mehrfach im Simpl Station. Hier sang sie auch zum ersten Mal das Lied, das sie unvergesslich gemacht hat: “Lili Marleen”, allerdings noch mit der Melodie von Rudi Zink. Mit der Musik von Norbert Schulze wurde es dann ein Welterfolg.
1938 trennten sich Julia und Theo Prosel. Sie ging zurück nach Wien, er blieb in seiner Wahlheimat München.
Als der Zweite Weltkrieg ausbrach, wurde es schwer, den Simpl weiterzuführen. Wein gab es fast keinen mehr, Schnaps schon gar nicht, und Speisen durften nur gegen Lebensmittelmarken ausgegeben werden. So mussten sich die Gäste meist mit einem alkoholfreien Cocktail zufrieden geben. Hinzu kamen die Fliegeralarme, die das Programm oft jäh unterbrachen. Prosel aber hatte einen “heißen Draht” zu der Stelle, die den Fliegeralarm auslöste. So erfuhr er früher als andere, dass Luftalarm bestand und konnte seine Kellnerinnen noch abkassieren lassen, bevor die Sirenen heulten.
Lale Andersen
Über das Ende des Simpl in der Türkenstraße schrieb Theo Prosel in seinem Buch “Freistaat Schwabing”: “Mit Fortdauer des Krieges und mit den widerlichen Umständen, die sich als seine Folge geltend machten, wurde es immer schwieriger, insbesondere männliche Kunstkräfte zu gewinnen. Denn nach und nach zog man einen jeden, der nur zwei Arme und Beine hatte zu irgend etwas ein und sei es nur zu einer Musikkapelle, die dann auszurücken hatte, wenn man einen begrub. Im Juni 1944, als der Krieg schon in ein Stadium getreten war, wo auch der Blindeste seinen Ausgang unschwer voraussehen konnte, kam ich plötzlich auf die Idee, Betriebsferien zu machen. Diese Einrichtung des ‘Tausendjährigen Reichs’ passte so gar nicht für den ‘Simpl’, aber irgendeine Vorahnung hatte mich gepackt und ließ mich nicht mehr los.
Das letzte Programm, das ich im alten ‘Simpl’ startete, hatte den Titel ‘Einmal geht’s noch’, und tatsächlich ist es nur einmal mehr gegangen. Als am 30. Juni die Vorstellung vorbei war und ich auch schon Polizeistunde geboten hatte, setzte ich mich mit meinen nächsten Simpl-Angehörigen zusammen und opferte aus meinen kargen Beständen einige Flaschen Sekt. Wir plauderten noch einige Zeit, dann verabschiedeten wir uns. Ich übernahm die Schlüssel und musste daher das Lokal selbst absperren. Dann gaben wir uns die Hand zum Abschied, und da sagte ich die Worte, die jederzeit durch Zeugenschaft bestätigt werden können: ‘Kinder, schaut euch jetzt noch einmal den Simpl genau an. Ihr werdet ihn nie mehr wieder sehen, denn im Juli kommen die Bomben.’ ”
Am 13. Juli 1944 fiel eine Sprengbombe in den Bühnenraum und begrub, was einmal Simpl geheißen hatte.