Auf dem Narrenberg
von Theo Prosel
Ganz fern von hier, knapp an dem Rand der Welt,
Wo sich der Weg schon bald ins Reich der Geister zieht,
Da steht ein hoher Berg, von dessen Gipfel
Man noch die ganze Erde übersieht.
Doch nur dem Narren wird des Weges Kunde,
Und nur des Narren Auge darf erschaun,
Was da passiert auf dieser Erdenrunde,
Soweit des Äthers Horizonte blaun.
Er kann sogar in Menschenseelen blicken,
Geheimstes Wollen bleibt ihm nicht verborgen.
Er sieht die Hoffnung auf ein Sich-beglücken,
Er sieht die bestversteckten grauen Sorgen,
Die selbst der Mensch dem Bruder nicht verrät.
Könnt irgend ein Gescheiter all dies sehn,
Dann könnt er es verwerten, besser machen;
So aber dürfen nur die Narren spähn,
Und Narren können höchstens blöde lachen.
Je nun, ich bin ja nur ein Narr,
Und der denkt anders als gescheite Leute.
Doch trotzdem will ich euch erzählen heute,
Was auf dem Narrenberg mir offenbar:
Weit lag die Welt, in tausend bunten Farben,
Reich stand das Feld, reif waren da die Garben.
Ich sah gar viele Kirchen, Schlösser, Wälder,
Und Silberflüsse, wohlbestellte Felder.
Ich sah hinein in jene Häuserhaufen,
Wo Menschen gierig auf und niederlaufen,
Wo einer nicht den Nächsten mehr erkennt,
Und die man sachgemäss die “Grossstadt” nennt.
Im Feld sah ich den Bauern fleissig pflügen,
Um über Unkraut, Kot und Stein zu siegen,
Dem Boden Brot und Früchte zu entlocken.
Dann sah ich einen auf der Börse hocken,
Der dieses Korn, das kaum im Boden drin,
Dem Anderen verschachert “per Termin”.
Dies alles schien mir, ach, so sonderbar.
Wie sollt ich’s auch verstehn? – Ich bin ja nur ein Narr,
Und der denkt anders als gescheite Leute…
Ich sah in eine Zeitungsredaktion,
Dort schrieb ein Mann im Ueberzeugungston,
Den Leitartikel gegen die Moral,
Die heute herrscht. Es sei ein Mordsskandal,
Durch Bücher, Filme und durch Schundbroschüren,
Sei man am Werk, die Jugend zu verführen.
Und “Nieder” schrieb er “mit dem Schund in Wort und Bild!“
Und durch den Kneifer blickte er gar wild.
Befriedigt lehnt er sich zurück sonach,
Stolz, weil er heldenhaft die Lanze brach
Zum Wohl des Volks, für Sitte und Moral.
Doch nebenan im Inseratensaal,
Da nimmt ein Fräulein ‘Anzeigen entgegen:
“Das beste Mittel gegen Muttersegen”.
“Der neueste Film: Das Grosstadt-Dirnenwesen!
Phänomenal, — man scheute keine Spesen“
All dies erhält die weiteste Verbreitung
Und steht ganz friedlich in derselben Zeitung.
Dies alles schien mir, ach, so sonderbar.
Wie sollt ich’s auch verstehn? Ich bin ja nur ein Narr,
Und der denkt anders als gescheite Leute.
Mein Aug schweift weiter über’s Erdenrund
Und blickte in ein Haus. Dort hielt der Völkerbund
In einem alten, prunkgewohnten Saale
Der letzten Sitzung feierlich Finale.
Es ward bestimmt im hochgelahrten Rat,
Den Krieg für alle Zeiten abzuschaffen.
Dem Schiedsgerichte beug’ sich jeder Staat.
Und stolz rief alles: “Nieder mit den Waffen“
Zur selben Zeit prüft man in Arsenalen
Die prompte Wirkung neuer Todesstrahlen,
Und der Engros-Erzeugung von Bakterien,
Gewährt man Subvention in Ministerien.
Ich wollte weinen, doch ich musste lachen,
Weil alles dieses doch Gescheite machen.
Ich stieg herab vom Berg zur Menschenschar,
Und alles schrie: “Seht an! Da geht der Narr!”
Ich aber dankte Gott aus tiefstem Sinn,
Dass ich ein Narr und kein Gescheiter bin.
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