Dichtender Simplwirt, Münchner Kabarettlegende

4. Mai 1889 - 13. Januar 1955

Theo Poeta (c) Resi Prosel Nachf.

© Zeich­nung von Resi Prosel

Erlauschte Gedanken eines Denkmals

von Theo Prosel

Ich war im Leben einmal promi­nent
Drum steh ich jetzt auf einem Posta­ment
Schon viele Jahre hier auf steinernen Sohlen
Und bin dem Schutz des Publi­kums empfohlen.
Mein Name stand da unten eingra­viert
Nur ward er von den Tauben ausradiert.

Daß ich hier in dem Parke stehen kann
Verdank ich einem braven Bürgers­mann,
Der Blut-und Leber­würst en gros erzeugte
Und nebenbei auch noch zur Dichtung neigte.
Der sehnte sich nach dem Kommer­zi­enrat,
So schenkte er einst mich der schönen Stadt.
Aus Marmor sollte ich erstehen im griechi­schen Zivil,
Doch Marmor kostete dem Mann zuviel.
Man nahm dann Sandstein ohne viel zu fragen,
Doch dieser kann das Klima nicht vertragen.
So muss ich ständig um mein Dasein zittern
Und kann nichts andres tun als verwittern.

Die erste Zeit war nicht sehr angenehm,
Denn meine Stellung ist nicht sehr bequem,
Doch steht man hier so einige Dezen­nien,
So fügt man sich und tut sich dran gewöhnien.
Und außerdem und das ist gar nicht dumm,
Schaut man sich etwas in der Gegend um.
Und da erlebt man manches Inter­es­sante
Und mit der Zeit bekommt man auch Bekannte.
So kommt – alltäg­lich pünkt­lich früh halb neun
Ein alter Herr – er muß Soldate gewesen sein –
Denn heut trägt er den Stock noch wie ’nen Säbel
Er hat fürs Vögel­füt­tern scheints ein Faibel.
Kaum ist er da, dann ruft er: Bi, bi, bi!
Und schon in dichten Scharen kommen sie!
Dann fressen sie sich an, ne ganze Weil,
Auf mir dann machen sie das Gegen­teil;
Doch zuck ich nicht mehr, wenn ein Spatz mich höhnt,
Denn selbst auch solche Ehren man gewöhnt.

So stehe ich schon viele Jahre hier
Und schaffe mir mein eigenes Pläsier,
Im großen Ganzen werde ich nicht beachtet,
Nur selten kommt ein Mann, der mich betrachtet,
Darum erschrak ich neulich gar so sehr,
Als plötz­lich in der Früh von ungefähr
Ich dichten Scharen zu mir Leute kamen.
Und immer wieder hört ich meinen Namen.
Da fiel’s mir ein, daß ich vor hundert Jahren
Auf diese schöne Welt kam angefahren,
Daß damals mich das Licht der Welt erblickt,
Und davon ist man heute noch entzückt.

Ich glaubte schon, der Rummel sei vorbei,
Doch jetzt begann erst recht die Litanei!
Denn plötz­lich ward es feier­lich und stille
Und einer mit nem Bart und goldner Brille
Trat dicht an meinen steinernen Sockel ran.
Und hustete ein paarmal und begann
Mich und mein ganzes Schaffen zu sezieren.
(kein Wort, ich könnt mir selber imponieren.)

“Dies Komma hätte ich nun angebracht,
Weil ich mir eine Welt dabei gedacht,
Die dadurch erst zur Offen­ba­rung wird.”
(In Wirklich­keit hatt ich mich da geirrt.)
Dann aber (mich erfaßt ein leises Grauen)
Kam ein Kapitel: I c h  u n d  m e i n e  F r a u e n.
Dabei hat er auch einige genannt,
Die ich im Leben leider nie gekannt.
So ging es fort, es war ganz fürch­ter­lich,
Zum Schluß bekam er den Zitat­te­rich
Und machte aus beim Volk beliebten Stellen
Aus meinen Werken geistige Fricatellen.

Doch endlich war auch diese Rede aus
Und er und ich, wir ernteten Applaus.
Er mußte oft und oft dem Volk sich neigen
(Mir tat es leid – ich kann mich nicht verbeugen).

Und dann ist’s wieder um mich still geworden,
Der Herr Professor hatte seinen Orden
Und ich steh wieder da, ich armer Tor,
Und habe meine Ruhe wie zuvor.

Nur einmal jedes Jahr, in meiner Todes­nacht,
Schenkt mir in Gnaden eine Gottes­macht,
Die Kraft der Rede auch im kalten Stein
Dann darf ich es in alle Winde schrein,
Was wir, die wir schon längst von Euch gegangen,
Als einzige Ehrung wünschen und verlangen:

Ehrt Eure Dichter nicht durch Erz und Stein,
Ehrt Eure Dichter nicht im Bücher­schrein.
Ihr sollt uns Platz in Euren Herzen geben,
Dort und sonst nirgend laßt uns weiterleben!

Aus “Simpl-Briefe” – Ausgabe Februar 1937
Heraus­geber: Theodor Prosel

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