Dichtender Simplwirt, Münchner Kabarettlegende

4. Mai 1889 - 13. Januar 1955

Tonfiguren von Dorli Diehl (c)

© Tonfi­guren von Theodora “Dorli” Diehl, Foto von Walther Diehl

Ein Brief an meine Kindeskinder

von Theo Prosel

Sie interessier’n mich eigent­lich nicht, meine Lieben,
und ich hätte Ihnen auch nie geschrieben;
denn was immer Sie für ein Leben führen
kann mich, da ich tot bin, doch nicht mehr touchieren.
Ob Sie dumm, ob gescheit, ob Sie arm oder reich,
glauben Sie, mir ist das gänzlich gleich
und wenn Sie selbst der Teufel hole:
„Nach mir die Sintflut“ ist meine Parole.
Aber leider mußt ich gezwun­gener Maßen
mich mit Ihrem Wohlbe­finden befassen,
denn dafür daß Sie einmal besser leben,
hätt‘ ich beinahe mein Leben gegeben.
Sie werden zwar sagen wenn Sie dies einmal lesen:
Der Kerl ist zum Sterben zu dumm gewesen
und ich gebe zu, Sie haben vollkommen recht:
Wer rauft sich auch für der Zukunft Geschlecht?
Doch für dieses Geständnis müssen Sie mir konze­dieren,
ich bin berech­tigt, mit Ihnen zu korre­spon­dieren.
Ich will Sie dadurch nach manchen Jahren
vor immerhin mögli­cher Täuschung bewahren.

Es könnte auch der Fall denkbar sein:
es schlei­chen in die Geschichte sich – Fehler ein
und es erscheinen die heute so grausigen Narben
den P. T. Enkeln in rosigen Farben,
und dann erzählen die Leute später
so gerne von den Helden­taten der Väter,
und da könnte es sein, daß von diesen Sachen
Sie sich eine ganz falsche Vorstel­lung machen
Ja zum Schluß, würden Sie uns vielleicht noch beneiden;
sehn Sie, gerade d a s, liebe Enkel, will ich vermeiden.

Unter einem Helden­vater stellt man sich vor – nach Jahren
einen Mann mit lockigen, wallenden Haaren,
mit männlich geformter Helden­brust
und mit unbezwing­li­cher Kampfes­lust,
Das Vater­land ruft – da stürmt er hinaus,
verläßt mit Freuden sein Weib, sein Haus,
reißt rasch die Flinte von der nächsten Wand,
schreit dreimal: „für Gott und Vater­land“,
dann gibt’s noch Küsse und Tücherl­schwenken
auch ein paar hübsche Angedenken
und dann geht’s im Sturm­schritt irgend­wohin;
das nennt man: Mutig zu Felde ziehn.
Dann wartet der Held, bis die Sonne schön scheint,
und dann geht er und sucht sich den Feind;
Und wie er den sieht, so schreit er H u r r a h ! !
und haut ihn auf den Schädel und der Kerl liegt da
und wenn der im letzten Todes­kampf liegt
und die Worte haucht: „Ich bin besiegt“,
sagt der Helden­vater: „Ich vergeb‘ Dir, Du Schuft!“
Scharrt ihn ein und schießt dreimal in die Luft.
Dann ist der Krieg natür­lich aus
und der Helden­vater geht stolz nachhaus.
In der Kirche wird das Tedeum gesungen:
„Gott Lob, der Feind ist umgebrungen“,
alles ist eitel Freude und Lust,
es ziert eine Medaille des Helden Brust,
hier stehn schon, die Mutter, die Kinder, der Vater,
umarmen und küssen den Helden­vater,
selbst der Hofhund bewegt freudig den Schwanz
und die Musik spielt: Heil Dir im Sieger­kranz.
Dann wäscht sich der Held seine Füße und Pfoten
und setzt sich zum Tisch und erzählt Kriegs­an­ek­doten.
Dieses heroi­sche Bild, meine Lieben,
ist gegen die Tatsa­chen stark übertrieben.
Gewöhn­lich hat der Held k e i n e wallenden Locken
und es ist ihm lieber zuhause zu hocken;
denn er will sein Leben so gut’s geht genießen
und er sehnt sich so gar nicht nach dem Erschießen.
Auch der Heldentot ist für ihn nicht: Genuß.
Drum geht der Held erst dann, wenn er muß;
der eine mit Schimpfen oder Galgen­humor,
der andere täuscht Kampfes­lust vor.

Zunächst muß man einen Helden genau unter­su­chen
und seinen Namen sorgfäl­tigst verbu­chen.
Das hat den Zweck daß der mutige Mann
nicht zufalls­weise – kneifen kann.
Drauf schwört er einen heiligen Eid
auf Vater­lands­liebe und Tapfer­keit.
Diese Feier nimmt ihn gewöhn­lich arg mit,
daher ist das nächste die Maroden­visit.
Dort stammelt er: er habe Asthma und Lungen­leiden,
auch sei eine Blind­darm­ope­ra­tion nicht zu vermeiden
und er könne absolut nicht marschieren
und er bittet, man möge ihn sup’arbitrieren.
Doch die Hoffnung darauf ist bald zeronnen
und damit hat das eigent­liche Helden­da­sein begonnen.
Jetzt wird ihm die Helden­kunst beigebracht;
Der Mann exerziert von früh bis zur Nacht,
dann putzt er die Schuhe und Kleider fein,
es ist klar: ein Held muß auch reinlich sein;
Doch wird er vielleicht dabei ertappt,
daß nicht alles, wie anbefohlen, klappt,
dann sperrt man den Helden einfach ein
und es sitzt jetzt im Loch das Helden­schwein.
Wenn er dann auf d i e Art genügend trainiert
wird er per Helden­waggon an die Front expediert.

Dort wird das Unter­nehmen mit Umsicht geleitet
und dem Helden sein ferneres Loos bereitet.
Entweder fällt eine Granate nieder,
dann fliegen herum die Helden­glieder,
oder es fällt mit heroi­scher Miene
ein Held getroffen in die Helden­la­trine.
Natür­lich gibt’s tausende Todes­arten,
die auf den Helden geradezu warten.
Zum Ersatz kommen immer neue Helden­le­gionen,
kein Wunder! bei dem Hunger moderner Kanonen.
Aus den Überle­benden bildet sich dann
der Typus: heroi­scher Werkelmann.

Das sind die Massen­tiere, die Namen­losen,
aber nun hören Sie von den Großen,
von den herrli­chen, strot­zenden Kraft­na­turen,
Ihnen bekannt durch die Stein­fi­guren,
mit denen man Ihre Andenken ehrt.
Die haben nie im Leben Schießen gehört,
die sind ruhig, behag­lich hinten gesessen
haben Sekt getrunken und Austern gefressen
und geschrien: „Das Schönste von allen,
ist entschieden, fürs Vater­land zu f a l l e n.“
Gott ist mit Euch und führt Euch zum Siege
und wir werden Millio­näre in diesem Kriege.

So, meine Lieben, waren die Helden,
von denen Euch Eure Bücher vermelden
so viele schöne, erhabene Züge,
gemalt mit dem Pinsel gemeiner Lüge.
Hört mich, was Eure Väter waren,
dasselbe wie Ihr – verführte Narren.
Teils ein blödes, gemeines Gesindel,
teils große Meister im gigan­ti­schen Schwindel.

 

Aus „Der Helden­spiegel“ von Theodor Pros(e)l, Linz 1919

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