Dichtender Simplwirt, Münchner Kabarettlegende

4. Mai 1889 - 13. Januar 1955

Theo_Meine Meinung

Maschinensturm

von Theo Prosel

Der Hunger ballte die Hand zur Faust
Die griff nach Äxten und Hämmern.
“Hallo, Kameraden!” ein Ruf erbraust, -
“Wir lassen uns nicht länger beläm­mern,
Es hungern die Kinder, es keift das Weib,
Noch aber haben wir Kraft im Leib,
Zu einigen Hieben soll’s langen.
Die Maschinen stahlen uns das Brot,
Nun auf, Kameraden! und schlaft sie tot,
Diese toll gewor­denen Schlangen!”

Und ohne Kommando formt sich der Zug
Zum Sturme gegen den Maschi­nen­be­trug
Und wächst und wird zum Meer
Und brandet und braust toll einher.
Schon stehen sie vor dem Maschinenhaus.

Da wächst aus Dunst und Qualm heraus
Eine düstere Wolke und wird Gestalt
Und ein donnerndes Dröhnen gebietet: “Halt!
Ich bin der Maschine schüt­zender Geist.
Eh ihr das Herz aus dem Leibe ihr reisst,
Steht ehrlich mir Antwort und saget an:
Was hat Euch denn die Maschine getan?“
Und aus dem Haufen tritt Einer hervor,
Und es klang, als sprächen Millionen im Chor:

“Die Maschine hat uns das Brot geraubt.
Zwar haben wir einst selber geglaubt,
Sie würde uns helfen, sie würde uns dienen,
Doch heute fluchen wir den Maschinen.
Denn wir fressen Fleisch und sie sauft nur Öle,
Sie ist nur ein Leib und wir haben eine Seele;
Sie hat keine Kinder in jammernden Nöten:
Wir schufen Maschinen – wir werden sie töten!”

Da sprach der Geist in göttli­cher Milde:
“Jhr armen Toren, Ihr seid nicht im Bilde.
O, dass doch die Menschen endlich lernten:
Die Maschine hilft säen, hilft pflügen und ernten.
Die Maschine stellt heute Getreide her
In Hülle und Fülle, — Ihr werft es ins Meer.
Die Maschine baut Häuser mit Fürsten­ge­mä­chern, -
Ihr aber hauset in finsteren Löchern.
Die Maschine macht Nächte zu leuch­tenden Tagen, -
Ihr aber müsst das Licht Euch versagen.
Denn: Die Maschine wird von der Dummheit regiert;
Die Dummheit schlagt tot, dann seid Ihr saniert
Und habt Brot und alles übergenug!“
Ein dumpfes Rollen, und fort war der Spuk.

Der Haufe stand still, dann hörte man fluchen,
Dann gingen sie stumm die Dummheit suchen.
So dumm aber auch die Dummheit ist,
So hatte sie sich doch mit arger List
Hinter Vorur­teilen versteckt.
Und dort hat sie bis heute – noch keiner entdeckt.

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