© Zeichnung von Resi Prosel
Erlauschte Gedanken eines Denkmals
von Theo Prosel
Ich war im Leben einmal prominent
Drum steh ich jetzt auf einem Postament
Schon viele Jahre hier auf steinernen Sohlen
Und bin dem Schutz des Publikums empfohlen.
Mein Name stand da unten eingraviert
Nur ward er von den Tauben ausradiert.
Daß ich hier in dem Parke stehen kann
Verdank ich einem braven Bürgersmann,
Der Blut-und Leberwürst en gros erzeugte
Und nebenbei auch noch zur Dichtung neigte.
Der sehnte sich nach dem Kommerzienrat,
So schenkte er einst mich der schönen Stadt.
Aus Marmor sollte ich erstehen im griechischen Zivil,
Doch Marmor kostete dem Mann zuviel.
Man nahm dann Sandstein ohne viel zu fragen,
Doch dieser kann das Klima nicht vertragen.
So muss ich ständig um mein Dasein zittern
Und kann nichts andres tun als verwittern.
Die erste Zeit war nicht sehr angenehm,
Denn meine Stellung ist nicht sehr bequem,
Doch steht man hier so einige Dezennien,
So fügt man sich und tut sich dran gewöhnien.
Und außerdem und das ist gar nicht dumm,
Schaut man sich etwas in der Gegend um.
Und da erlebt man manches Interessante
Und mit der Zeit bekommt man auch Bekannte.
So kommt – alltäglich pünktlich früh halb neun
Ein alter Herr – er muß Soldate gewesen sein –
Denn heut trägt er den Stock noch wie ’nen Säbel
Er hat fürs Vögelfüttern scheints ein Faibel.
Kaum ist er da, dann ruft er: Bi, bi, bi!
Und schon in dichten Scharen kommen sie!
Dann fressen sie sich an, ne ganze Weil,
Auf mir dann machen sie das Gegenteil;
Doch zuck ich nicht mehr, wenn ein Spatz mich höhnt,
Denn selbst auch solche Ehren man gewöhnt.
So stehe ich schon viele Jahre hier
Und schaffe mir mein eigenes Pläsier,
Im großen Ganzen werde ich nicht beachtet,
Nur selten kommt ein Mann, der mich betrachtet,
Darum erschrak ich neulich gar so sehr,
Als plötzlich in der Früh von ungefähr
Ich dichten Scharen zu mir Leute kamen.
Und immer wieder hört ich meinen Namen.
Da fiel’s mir ein, daß ich vor hundert Jahren
Auf diese schöne Welt kam angefahren,
Daß damals mich das Licht der Welt erblickt,
Und davon ist man heute noch entzückt.
Ich glaubte schon, der Rummel sei vorbei,
Doch jetzt begann erst recht die Litanei!
Denn plötzlich ward es feierlich und stille
Und einer mit nem Bart und goldner Brille
Trat dicht an meinen steinernen Sockel ran.
Und hustete ein paarmal und begann
Mich und mein ganzes Schaffen zu sezieren.
(kein Wort, ich könnt mir selber imponieren.)
“Dies Komma hätte ich nun angebracht,
Weil ich mir eine Welt dabei gedacht,
Die dadurch erst zur Offenbarung wird.”
(In Wirklichkeit hatt ich mich da geirrt.)
Dann aber (mich erfaßt ein leises Grauen)
Kam ein Kapitel: I c h u n d m e i n e F r a u e n.
Dabei hat er auch einige genannt,
Die ich im Leben leider nie gekannt.
So ging es fort, es war ganz fürchterlich,
Zum Schluß bekam er den Zitatterich
Und machte aus beim Volk beliebten Stellen
Aus meinen Werken geistige Fricatellen.
Doch endlich war auch diese Rede aus
Und er und ich, wir ernteten Applaus.
Er mußte oft und oft dem Volk sich neigen
(Mir tat es leid – ich kann mich nicht verbeugen).
Und dann ist’s wieder um mich still geworden,
Der Herr Professor hatte seinen Orden
Und ich steh wieder da, ich armer Tor,
Und habe meine Ruhe wie zuvor.
Nur einmal jedes Jahr, in meiner Todesnacht,
Schenkt mir in Gnaden eine Gottesmacht,
Die Kraft der Rede auch im kalten Stein
Dann darf ich es in alle Winde schrein,
Was wir, die wir schon längst von Euch gegangen,
Als einzige Ehrung wünschen und verlangen:
Ehrt Eure Dichter nicht durch Erz und Stein,
Ehrt Eure Dichter nicht im Bücherschrein.
Ihr sollt uns Platz in Euren Herzen geben,
Dort und sonst nirgend laßt uns weiterleben!
Aus “Simpl-Briefe” – Ausgabe Februar 1937
Herausgeber: Theodor Prosel
© Nachdruck und Aufführung nur mit Erlaubnis gestattet