© Tonfiguren von Theodora “Dorli” Diehl, Foto von Walther Diehl
Ein Brief an meine Kindeskinder
von Theo Prosel
Sie interessier’n mich eigentlich nicht, meine Lieben,
und ich hätte Ihnen auch nie geschrieben;
denn was immer Sie für ein Leben führen
kann mich, da ich tot bin, doch nicht mehr touchieren.
Ob Sie dumm, ob gescheit, ob Sie arm oder reich,
glauben Sie, mir ist das gänzlich gleich
und wenn Sie selbst der Teufel hole:
„Nach mir die Sintflut“ ist meine Parole.
Aber leider mußt ich gezwungener Maßen
mich mit Ihrem Wohlbefinden befassen,
denn dafür daß Sie einmal besser leben,
hätt‘ ich beinahe mein Leben gegeben.
Sie werden zwar sagen wenn Sie dies einmal lesen:
Der Kerl ist zum Sterben zu dumm gewesen
und ich gebe zu, Sie haben vollkommen recht:
Wer rauft sich auch für der Zukunft Geschlecht?
Doch für dieses Geständnis müssen Sie mir konzedieren,
ich bin berechtigt, mit Ihnen zu korrespondieren.
Ich will Sie dadurch nach manchen Jahren
vor immerhin möglicher Täuschung bewahren.
Es könnte auch der Fall denkbar sein:
es schleichen in die Geschichte sich – Fehler ein
und es erscheinen die heute so grausigen Narben
den P. T. Enkeln in rosigen Farben,
und dann erzählen die Leute später
so gerne von den Heldentaten der Väter,
und da könnte es sein, daß von diesen Sachen
Sie sich eine ganz falsche Vorstellung machen
Ja zum Schluß, würden Sie uns vielleicht noch beneiden;
sehn Sie, gerade d a s, liebe Enkel, will ich vermeiden.
Unter einem Heldenvater stellt man sich vor – nach Jahren
einen Mann mit lockigen, wallenden Haaren,
mit männlich geformter Heldenbrust
und mit unbezwinglicher Kampfeslust,
Das Vaterland ruft – da stürmt er hinaus,
verläßt mit Freuden sein Weib, sein Haus,
reißt rasch die Flinte von der nächsten Wand,
schreit dreimal: „für Gott und Vaterland“,
dann gibt’s noch Küsse und Tücherlschwenken
auch ein paar hübsche Angedenken
und dann geht’s im Sturmschritt irgendwohin;
das nennt man: Mutig zu Felde ziehn.
Dann wartet der Held, bis die Sonne schön scheint,
und dann geht er und sucht sich den Feind;
Und wie er den sieht, so schreit er H u r r a h ! !
und haut ihn auf den Schädel und der Kerl liegt da
und wenn der im letzten Todeskampf liegt
und die Worte haucht: „Ich bin besiegt“,
sagt der Heldenvater: „Ich vergeb‘ Dir, Du Schuft!“
Scharrt ihn ein und schießt dreimal in die Luft.
Dann ist der Krieg natürlich aus
und der Heldenvater geht stolz nachhaus.
In der Kirche wird das Tedeum gesungen:
„Gott Lob, der Feind ist umgebrungen“,
alles ist eitel Freude und Lust,
es ziert eine Medaille des Helden Brust,
hier stehn schon, die Mutter, die Kinder, der Vater,
umarmen und küssen den Heldenvater,
selbst der Hofhund bewegt freudig den Schwanz
und die Musik spielt: Heil Dir im Siegerkranz.
Dann wäscht sich der Held seine Füße und Pfoten
und setzt sich zum Tisch und erzählt Kriegsanekdoten.
Dieses heroische Bild, meine Lieben,
ist gegen die Tatsachen stark übertrieben.
Gewöhnlich hat der Held k e i n e wallenden Locken
und es ist ihm lieber zuhause zu hocken;
denn er will sein Leben so gut’s geht genießen
und er sehnt sich so gar nicht nach dem Erschießen.
Auch der Heldentot ist für ihn nicht: Genuß.
Drum geht der Held erst dann, wenn er muß;
der eine mit Schimpfen oder Galgenhumor,
der andere täuscht Kampfeslust vor.
Zunächst muß man einen Helden genau untersuchen
und seinen Namen sorgfältigst verbuchen.
Das hat den Zweck daß der mutige Mann
nicht zufallsweise – kneifen kann.
Drauf schwört er einen heiligen Eid
auf Vaterlandsliebe und Tapferkeit.
Diese Feier nimmt ihn gewöhnlich arg mit,
daher ist das nächste die Marodenvisit.
Dort stammelt er: er habe Asthma und Lungenleiden,
auch sei eine Blinddarmoperation nicht zu vermeiden
und er könne absolut nicht marschieren
und er bittet, man möge ihn sup’arbitrieren.
Doch die Hoffnung darauf ist bald zeronnen
und damit hat das eigentliche Heldendasein begonnen.
Jetzt wird ihm die Heldenkunst beigebracht;
Der Mann exerziert von früh bis zur Nacht,
dann putzt er die Schuhe und Kleider fein,
es ist klar: ein Held muß auch reinlich sein;
Doch wird er vielleicht dabei ertappt,
daß nicht alles, wie anbefohlen, klappt,
dann sperrt man den Helden einfach ein
und es sitzt jetzt im Loch das Heldenschwein.
Wenn er dann auf d i e Art genügend trainiert
wird er per Heldenwaggon an die Front expediert.
Dort wird das Unternehmen mit Umsicht geleitet
und dem Helden sein ferneres Loos bereitet.
Entweder fällt eine Granate nieder,
dann fliegen herum die Heldenglieder,
oder es fällt mit heroischer Miene
ein Held getroffen in die Heldenlatrine.
Natürlich gibt’s tausende Todesarten,
die auf den Helden geradezu warten.
Zum Ersatz kommen immer neue Heldenlegionen,
kein Wunder! bei dem Hunger moderner Kanonen.
Aus den Überlebenden bildet sich dann
der Typus: heroischer Werkelmann.
Das sind die Massentiere, die Namenlosen,
aber nun hören Sie von den Großen,
von den herrlichen, strotzenden Kraftnaturen,
Ihnen bekannt durch die Steinfiguren,
mit denen man Ihre Andenken ehrt.
Die haben nie im Leben Schießen gehört,
die sind ruhig, behaglich hinten gesessen
haben Sekt getrunken und Austern gefressen
und geschrien: „Das Schönste von allen,
ist entschieden, fürs Vaterland zu f a l l e n.“
Gott ist mit Euch und führt Euch zum Siege
und wir werden Millionäre in diesem Kriege.
So, meine Lieben, waren die Helden,
von denen Euch Eure Bücher vermelden
so viele schöne, erhabene Züge,
gemalt mit dem Pinsel gemeiner Lüge.
Hört mich, was Eure Väter waren,
dasselbe wie Ihr – verführte Narren.
Teils ein blödes, gemeines Gesindel,
teils große Meister im gigantischen Schwindel.
Aus „Der Heldenspiegel“ von Theodor Pros(e)l, Linz 1919
© Nachdruck und Aufführung nur mit Erlaubnis gestattet